Therapie-Prinzipien

  Prinzip 21

  Wirkungsweise der MPTT-Basisinterventionslinie

  Die Intervention erfüllt insofern die Bedingung N + 1, als sie den progressiven   Übergang von der indexikalischen Verhaltensebene zur symbolischen Ebene fördert,   indem sie das bis dahin zwanghafte, indexikalisch gesteuerte Verhaltensmuster   „virtualisiert“, was über „Spiel und Symbolbildung" zu den Wirkmechanismen der PdP   und MPTT gehört (vgl. Abschnitt E4.1). Bei der BIL handelt es sich insofern um eine   ich - stärkende Intervention, als hier ein Entscheidungs-„Spielraum "(Waldenfels,   1980) eröffnet wird, welcher der Patientin unter dem Druck ihrer belastenden   Erfahrung abhanden kam. Dieses nicht-suggestive und nicht-manipulative Vorgehen ist   an eine therapeutische Haltung gebunden, die im Sinne von KF B5 „Abstinenz"   verwirklicht und die Klientin zu keinem der aufgespaltenen Pole hin drängt.

  Prinzip 22

  Phänomenlogische Patientenorientierung

  Das Vorgehen der MPTT ist patientenzentriert, d. h. dialogisch auf die Begriffe,   Metaphern und die Lebenswelt der Patientin bezogen. Um die kreative konstruktive   Leistung der Patientin nicht zu behindern, bringt die Therapeutin möglichst wenig   eigene Metaphern und Bilder ein, beteiligt sich aber, wie in einer   „Fortsetzungszeichnung“ (etwa nach Winnicott, 1960), an der gemeinsamen   Entwicklung von Konzepten und Metaphern.

  Prinzip 23

  Arbeiten in der optimalen Differenz

  Das Prinzip der „optimalen Differenz” geht davon aus, dass eine für therapeutische   Veränderungen optimale Konstellation entsteht, wenn das aktualisierte   Übertragungsschema der Patientin und das therapeutische Arbeitsbündnis sich   optimal annähern und zugleich in einem zentralen Punkt von einander unterscheiden.   Ist diese Konstellation verwirklicht, ist ein idealer Beziehungsrahmen vorhanden, um   Veränderungszyklen zu fördern und in Gang zu halten.

  Prinzip 24

 Begleitung von dekonstruktiven und konstruktiven Episoden

  Hier ist ergänzend zur Regel N + 1 auf das Zusammenspiel von ikonischer und   symbolischer Ebene zu achten, neuropsychologisch auf die „Zusammenarbeit” von   rechter und linker Hirnhemisphäre. Entsprechend der modifizierten Regel zur freien   Assoziation in der MPTT greift die Therapeutin im Umkreis der Konstruktionsphasen vor   allem Bildvorstellungen auf und erleichtert es der Patientin, sich imaginativ einer   Bildfolge zu überlassen und sich an Bildern, Handlungssegmenten und Metaphern zu   orientieren.

  Prinzip 25

 Technik vs. Psychotherapie

  Die allgemeine Regel lautet: Psychotherapie ist mehr und anderes als der Einsatz von   Techniken. Erst die Integration einer psychotherapeutischen Technik in eine   übergreifende Fallkonzeption, wie sie z.B. die KÖDOPS-Formate ermöglichen,   entscheidet über den Unterschied zwischen polypragmatischem „Herumprobieren" und   einer geplanten, wissenschaftlich fundierten Psychotherapie.

  Prinzip 26

  Schemakonzept in MPTT und PdP

  Da die Symptomatik des Traumas zwischen subjektiver Ebene (Intrusionen) und   objektiver (Vermeidungsverhalten) oszilliert, kann weder ein klassischer noch ein   „kognitiver" Behaviorismus die Ebene N + 1 verwirklichen, die epistemologisch als   Grundlage der Traumatherapie erforderlich ist. So sind auch die   „traumatherapeutischen" Techniken dieser epistemologischen Position gespalten in   Techniken „verlängerter Reizkonfrontation" (Foa et al., 1992; Maercker & Scützwohl,   1998) auf der einen und kognitive Selbstkonditionierung (Meichenbaum, 1985) auf der   anderen Seite. Erstere entsprechen der Konditionierungstheorie mit ihrer Annahme   einer „Habituation"; letztere der rationalistischen Variante des Kognitivismus. Die   Alternative zu beiden Polen dieser aufgespaltenen Polarität als eines Weder - Noch   (entsprechend KF B5) ist ein Schemakonzept, das wie bei Piaget das subjektive und   das objektive Moment von Wahrnehmung und Handlung in intelligenter Weise   verbindet und dialektisch aufeinander bezieht. In Tabelle 8 entspricht diese Position   dem „Begriff“ als einer Struktur, die weder objektiv noch subjektiv ist und sowohl das   eine wie das andere. Nur eine solche Struktur ist fähig zur „Selbstkorrektur" und nur   unter dieser epistemologischen Voraussetzung macht es Sinn, von einer menschlichen   Fähigkeit zur „Selbstregulation" auszugehen und diese therapeutisch zu unterstützen.

  Prinzip 27

 MPTT-Standardversion in der Prozesstherapie

  Grundsätzlich wird die in der MPTT-Standardversion festgelegte Interventionssequenz   mit Aufbau der Basisinterventionslinie, kognitivem und emotionalem Durcharbeiten   auch in der Prozesstherapie eingehalten. Wegen der fortgeschrittenen   neurophysiologischen Verfestigung dehnen sich die Therapiephasen im Allgemeinen   zeitlich aus. Bei Mehrfachtraumatisierung wird das MPTT-Standardmodul im Sinne einer   „Multifokaltherapie“ angewandt, beginnend mit den zeitnahen Traumata, hin zu den   frühesten und zeitlich zurückliegenden (first things first!).

  Prinzip 28

  Sequentiellen Resonanz in der Traumabearbeitung

  Die Rückwirkung der aktuellen auf die vergangenen Traumata wird dadurch verstärkt,   dass der Therapeut das aktuelle Trauma in Worten und Metaphern beschreibt, die   ebenso gut auf die zentrale frühere Traumatisierung zutreffen könnten. Dadurch wird   das Netzwerk der traumatischen Erfahrungen stärker verkettet, und es steigt die   Wahrscheinlichkeit an, dass die früheren Traumata „emotional resonant“ in die   Bearbeitung der späteren einbezogen werden.

  Prinzip 29

  Beziehungskonflikt vor Traumabearbeitung

  Bei Beziehungstraumatisierung bzw. Beteiligung zentraler Beziehungsschemata an der   traumatischen Erfahrung hat die therapeutische Aufarbeitung eines konflikthaften   Beziehungsschemas Vorrang vor der emotionalen Traumabearbeitung. Die Phase des   kognitiven Durcharbeitens der traumatischen Situation verläuft entsprechend dem   Standardmodul. Vor dem Übergang zum emotionalen Durcharbeiten muss die   antizipatorische Konfliktlösung besonders beachtet werden. Erst wenn deutliche   Anzeichen für eine flexible Beziehungsregulation vorliegen, vor allem auch in der   Übertragung die Fähigkeit, negative Gefühle gegenüber dem Therapeuten   auszudrücken, kann vorsichtig mit emotionalem Durcharbeiten begonnen werden.

  Prinzip 30

  Einsatz Stress mildernder Übungen – Ausgang von der „Peripherie“

  Die MF-Therapie schreitet von der Peripherie zum Zentrum der traumatischen   Erfahrung vor, von alltäglichen Stress- und Belastungssituationen hin zur zentralen   traumatischen Erfahrung. Dies erfordert eine aktive Fokussierung und Begrenzung auf   umschriebene Alltagsprobleme sowie das Durchbrechen von „Teufelskreisen”, die sich   aus der Interaktion von Alltagsproblemen mit „Abkömmlingen” der traumatischen   Erfahrung bilden. Günstige Erfahrungen an der „Peripherie” können die Motivation zu   einer kausalen Therapie fördern, zu einer zweiten Phase der Intervention.

  Prinzip 31

  Übergang von offener in fokussierte Therapieführung

  Zeigen sich im Laufe einer offenen Therapieführung deutliche dissoziative Phänomene,   so ist dies ein Anlass, zumindest zeitweilig und punktuell zur fokussierten   Therapieführung überzugehen. Die MPTT-Regel lautet: Soviel Prozess wie möglich,   soviel Fokussierung wie nötig.

  Prinzip 32

  Umgang mit der therapeutischen Helferrolle

  Eine Therapeutin kann sowohl „mütterlich“ oder „väterlich“ beschützend sein als auch   teilnehmend-begleitend. Diese Variationsbreite des therapeutischen Verhaltens kann   aber nur verwirklicht werden, wenn die Therapeutin eigene Bedürfnisse, als Helfer   gebraucht zu werden (”ich bin davon abhängig, dass du dich von mir abhängig   fühlst”), reflektieren und relativieren kann.

  Prinzip 33

  Konstruktionslogik beim traumatischen Prozess

  Eine Heuristik des Therapieverlaufs in der MPTT-LO-Variante richtet sich nicht nach der   chronologischen oder lebensgeschichtlichen Abfolge traumatischer Situationen,   sondern folgt einer Konstruktionslogik, die sich aus den wichtigsten, bislang   unterdrückten Entwicklungsbedürfnissen ergibt sowie aus den Transformationsstufen   der traumabedingten Konfliktpolarität (entsprechend KÖDOPS-Formaten B2 und B7).

  Prinzip 34

  Umgang mit einer ambivalenten Therapiemotivation in der MPPT

  Ein geschickter Umgang mit der „aufgespaltenen Ambivalenz" zwischen Verdrängung   und überfordernder Aufdeckung (=Wiederholung) ist hier erforderlich, wobei die   KÖDOPS-Formate „Grundriss des Therapieverlaufs" und „Polaritätenquadrat" eine   Orientierungshilfe bieten. Entweder Verdrängen oder rücksichtslos Aufdecken (=   Wiederholen) lässt sich in vielen Fällen als Ausgangslage umschreiben, und es geht   darum, diese beiden Extreme subjektiv überzeugend zu „widerlegen": Weder   Verdrängen noch rücksichtslos aufdecken ist die dialektische „Antwort“ welche die   Therapeutin während der Phase der ersten Beziehungstests in ihren Interventionen   und ihrem Verhalten verwirklichen muss.

  Prinzip 35

  Offenbarung traumatischer Erfahrungen (coming out)

  Bei Patientinnen der LO und LF -Therapie sollte darauf geachtet werden, dass sie nicht   vorzeitig in die Offenbarung traumatischer Erfahrungen in einer ambivalenten Umwelt   oder in die Konfrontation mit traumatogenen Beziehungspersonen hineingeraten. Erst   wenn mehrere Konstruktions-Rekonstruktionszyklen in den zentralen   Traumabereichen durchlaufen und neue Strukturen gefestigt sind, kann eine   Konfrontation hilfreich sein.

  Prinzip 36

 Therapeutischer Umgang mit der Opferrolle

  Bei negativer Übertragung aufgespaltener Beziehungspolaritäten verwirklicht die   Therapeutin eine Haltung, die beide Pole negiert. So unterbricht sie die (im   Allgemeinen bipolare) Reproduktion des Traumaschemas. In gleicher Weise geht sie   auch mit Übertragungsschemata um, in denen sie jene Opferrolle zugewiesen   bekommt, unter der die Patientin lebensgeschichtlich zu leiden hatte. Bei Inszenierung   dieser Konflikt- bzw. Traumathemen muss besonders auf die Stabilität des   therapeutischen Rahmens geachtet werden, da nur auf diesem Hintergrund die   Viktimisierungsdynamik  wirksam überwunden werden kann.

  Prinzip 37

  Arbeit an der Konfiguration der Erlebniszustände

  Die Arbeit mit Erlebniszuständen und Traumaskript steht im Mittelpunkt der   LF - Therapie, unabhängig davon, ob sich die „states” zu besonderen Teilcharakteren   verselbständigt haben oder nicht. Primäres Ziel der Intervention ist die   Vereinheitlichung der dissoziierten Erlebniszustände durch Verbindung mit dem   zentralen koordinierenden Ich-Selbst-System. Die Vereinheitlichung wird, der   dialektischen Basisstrategie der MPTT entsprechend, dadurch gefördert, dass zunächst   die Unterschiede zwischen den verschiedenen inneren Kräften oder auch „Gestalten”   betont und ihre Position in der Konfliktdynamik herausgearbeitet wird.

  Prinzip 38

  Die Konstruktion geht der Rekonstruktion voraus

  Emotionales Durcharbeiten vor der „Fähigkeit zur Objektspaltung" und anderen   Konstruktionsschritten, führt im allgemeinen zu einer negativen therapeutischen   Reaktion, besonders dann, wenn es durch effektive „traumabearbeitende Techniken"   unterstützt wird. Traumabearbeitende Techniken müssen vielmehr in die Dialektik des   psychotherapeutischen Prozesses eingepasst werden. Sie sollten vor allem den   rekonstruktiven Schleifen des therapeutischen Veränderungsprozesses vorbehalten   bleiben. Bis dahin wird vermehrt lösungsorientiert gearbeitet, durch Zuspitzen des   zentralen Beziehungskonflikts oder ikonische Techniken, wie eine lösungsorientierte   Arbeit mit Träumen.

  Prinzip 39

 Individualität beim Einsatz traumabearbeitender Techniken

  Individualität muss beim Einsatz unterstützender Techniken der Traumaverarbeitung   besonders sorgfältig berücksichtigt werden. Unterstützende Techniken ikonischer oder   indexikalischer Art dürfen in keinem Fall gegen die Kriterien der minimalen Differenz   verstoßen und sollten möglichst die Kriterien der optimalen Differenz erfüllen. Hier   stoßen standardisierte traumabearbeitende Techniken im Einzelfall an Grenzen, so   erfolgreich sie auch in statistischen Mittelwerten erscheinen mögen.  Traumatherapie   ist mehr als der Einsatz von Techniken. Diese müssen in eine Therapieplanung und   –führung eingebunden sein, die optimal auf den einzelnen Patienten und seine   Struktur und Dynamik abgestimmt ist.

  Prinzip 40

  Grenzen der Kombination von MPTT-Modulen

  Ergeben sich Widersprüche zwischen den MPTT-Prinzipien und verschiedenen   Varianten, so haben die Prinzipien, wie z. B. der Primat der Beziehungsgestaltung vor   der Technik, Vorrang vor Modulen, Übungselementen, Modifikationen und Varianten   des Verfahrens.

  Prinzip 41

  Arbeiten in der optimalen Differenz

  Das Prinzip der „optimalen Differenz" geht davon aus, dass eine für therapeutische   Veränderungen optimale Situation entsteht, wenn das aktualisierte   Übertragungsschema der Patientin und das therapeutische Arbeitsbündnis sich   optimal annähern und zugleich in einem zentralen Punkt von einander unterscheiden.

  Prinzip 42

 Dekonstruktiver Einsatz von Trainingselementen bei UtS

  Bei UtS sollte die Therapeutin besonders darauf achten, Trainingselemente   dekonstruktiv einzusetzen, um eingeschliffene Verhaltensmuster zu unterbrechen und   die leitenden Motive aufzudecken und durchzuarbeiten. Mit einem positiven   Verhaltensprogramm sollte erstgearbeitet werden, wenn sich die Motivstruktur   verändert hat.

  Prinzip 43

  Basisinterventionslinie bei Psychose als TKS

  Bei einer psychotischen Symptombildung im psychotraumatischen Kontext geht die   semiotische Progression mit Stärkung und Differenzierung des TKS einher. Die   therapeutische Intervention fördert den Übergang vom subjektiven zum objektiven   Selbst, von der ikonischen zur indexikalischen Ebene. Durch Übersetzung auf die   symbolische Ebene werden die ikonisch repräsentierten Inhalte des subjektiven Selbst   „normalisiert" und in Alltagssprache gefasst. Dieser letzte Schritt geschieht am   wirksamsten in einer gemeinsamen therapeutischen Handlungssituation, die einen   spielerischen Charakter trägt



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