Therapieprinzipien und Standardinterventionslinien
Die kausale Psychotherapie und mithin die MPTT orientieren sich an bestimmten Prinzipien und Interventionslinien, die jeweils aufeinander aufbauen. Standard- und Prozesstherapien unterscheiden sich in dieser Hinsicht nur darin, dass die MPTT-Prozessvarianten weitere, teilweise spezifischere Therapiemaßgaben beinhalten. Im Folgenden werden diese praxisorientierten Leitlinien im Original dargestellt.


  SIL 1

  BIL MPTT: Stärkung und Differenzierung des TKS

  Sie besteht darin, die spontanen traumakompensatorischen Ansätze der   Persönlichkeit, insbesondere ihr subjektives Präventions- und Heilungskonzept   positiv aufzugreifen, um das traumakompensatorische Schema zu stärken und zu   differenzieren. Bestätigt werden in dieser Intervention die   traumakompensatorischen   Ziele von Selbstschutz und Selbstheilung, jedoch nicht   oder nicht immer die   konkreten Mittel, mit denen diese Ziele erreicht werden   sollen. Gleiches gilt für den   persönlichkeitstypischen Kontrollstil, der ebenfalls   funktionale und dysfunktionale   Komponenten aufweist. Hier besteht das Ziel   darin, Abwehrmechanismen in   Coping- Mechanismen (zurück )zuverwandeln.

SIL 2

  Aufgreifen der Abwehr als Ressource

  A)  „Sie sind sehr gewissenhaft (nachdenklich, wachsam etc.). Das ist eine Stärke und         war vielleicht sogar einmal eine Überlebensmöglichkeit, nach dem, was Sie erlebt         haben.“
  B)  „Aber manchmal fallen Sie hinter diese Ziele zurück. Dann sind Sie doch nicht         sorgfältig (nachdenklich, wachsam)“ genug. Hier müssen konkrete Beispiele         angeführt werden, die dem Patienten einsichtig sind.
  C)  „Was können wir tun, damit Sie die Ziele und Stärken unter A) noch besser         und konsequenter verwirklichen können?“

SIL 3

  Therapievereinbarung

  Patienten, die sich um eine Therapie bemühen, werden nach den ersten   diagnostischen Gesprächen aufgefordert, sich in den nächsten 8-14 Tagen zu   überlegen, ob sie sich die therapeutische Arbeit mit dem betreffenden Therapeuten   grundsätzlich vorstellen können oder nicht.
  Die „Standardinstruktion“ lautet: „Bitte achten Sie auf Ihre Gefühle und nehmen Sie   auch negative Gefühle und Empfindungen ernst. Ich werde ebenso vorgehen und mir   überlegen, ob ich mit Ihnen arbeiten kann oder nicht.“

SIL 4

  Platzhalter-Formulierung für den biographischen Hintergrund

  Ist der lebensgeschichtliche Hintergrund einer Symptomatik nicht hinreichend bekannt   oder dem Patienten noch unzugänglich, kann ätiologieübergreifend eine sog.   „Platzhalterformulierung“ verwendet werden.
  Bei einer zwanghaften Persönlichkeitsstruktur z.B.: „Sie sind darauf  bedacht, all Ihre   Arbeitsaufgaben äußerst gewissenhaft zu erledigen. Das ist eine Haltung, die Sie im   Laufe Ihres Lebens entwickelt haben. Wir kennen die Gründe hierfür zwar noch nicht,   können sie in der Therapie aber vielleicht zusammen herausfinden.“

SIL 5

  Umgang mit negativer Übertragung

  „Wer das erleben musste, was Sie erlebt haben, dem fällt es verständlicherweise nicht   leicht, wieder Vertrauen zu anderen Menschen zu fassen; der fühlt sich zunächst allein   und denkt, dass nur jemand, der genau das Gleiche erlebt hat wie er selbst, sich in   eine solche Lage hineinversetzen kann.“

SIL 6

  Unterstützung von Vergessen und Distanzierung

  „Sie bemühen sich, das schreckliche Erlebnis zu vergessen und sich von Erinnerungen   abzulenken. Das ist eine wichtige Fähigkeit, die Ihnen bei der Bewältigung des   Traumas sehr nützen wird. Manchmal fällt Ihnen das jedoch sehr schwer oder misslingt   auch. Dann helfen Sie mit Tabletten oder Alkohol nach. Wir wollen zusammen   überlegen, was Sie tun können, um diese wichtige Fähigkeit, die Sie haben, noch   weiter zu stärken.“

SIL 7

  Strukturierung traumatischer Erlebnismuster

  „Es ist ganz natürlich, dass Sie sich erschrecken, wenn diese Bilder und Empfindungen   auftauchen. Es handelt sich um Eindrücke aus dem traumatischen Erlebnis, die viele   Betroffene zunächst nur unklar erinnern können. Wenn der Zusammenhang mit den   realen Vorgängen und Ihrem Erleben des Traumas deutlicher wird, verlieren diese   Bilder ihren Schrecken. Wir könnten gemeinsam überlegen, woran die Bilder vielleicht   erinnern, was in ihnen zum Ausdruck kommt.“

SIL 8

  Umgang mit Tendenzen zum Therapieabbruch

  „Es ist völlig verständlich, dass Sie, wie viele andere (Kriminalitätsopfer...Unfallopfer   usf.) den Vorfall so schnell wie möglich vergessen wollen. Dies misslingt aber oft, so   dass die Erinnerung z. B. in Alpträumen und bedrohlichen Bildern wiederkehrt. Wir   wollen in der Therapie erreichen, dass Sie wirksamer, dass Sie wirklich vergessen   können.“ Auf die Frage der Klientin, ob sie sich an alles erinnern bzw. über alles   sprechen müsse, antwortet die Thpn. im Sinne der modifizierten Grundregel:„Es ist   nicht erforderlich, dass Sie an alle Einzelheiten denken oder über alles mit mir   sprechen. Für uns ist wichtig, was das Erlebnis heute für Sie bedeutet und wie es sich   heute auf Sie auswirkt.“

SIL 9

  Platzhalter-Technik

  „Möglicherweise ist in Ihrer Lebensgeschichte etwas vorgefallen, was wir noch nicht   kennen. Dies könnte einige der im Augenblick noch unverständlichen Beschwerden   möglicherweise verständlich machen. Wenn Sie einverstanden sind, können wir   versuchen, miteinander herauszufinden, was Sie erlebt haben und wie sie in Ihrem   weiteren Leben darauf reagiert haben. Wenn wir diese Zusammenhänge besser   kennen, werden vielleicht Dinge verständlich, die Ihnen heute noch fremdartig   erscheinen.“

SIL 10

  Freie Assoziation

  „Erinnerungen können sich gleichzeitig auf verschiedenen Ebenen auswirken: in   Körperempfindung, Körperspannungen, Handlungsimpulsen, in Bildern und Gedanken,   die einem spontan durch den Kopf gehen und natürlich in Worten und Sätzen. Es ist   wichtig, dass Sie auf all diese Bereiche achten. Sie können mir Ihre Beobachtungen   jederzeit mitteilen. Mit einem anderen Menschen über persönliche Erinnerungen,   Empfindungen, Gedanken und Wahrnehmungen zu sprechen, kann sehr erleichternd   sein. Sie sind aber selbstverständlich nicht dazu verpflichtet, mit mir über alles zu   sprechen, sondern können entscheiden, ob Sie manche Beobachtungen nur für sich   behalten wollen.”

  Zusatz 1: „Anfangs kann es jedoch schwierig und sogar bedenklich sein, sich dem Fluß   innerer Bilder zu frei zu überlassen, da sich beunruhigende Vorstellungen aufdrängen   können, die an das Trauma erinnern. Bitte unterbrechen Sie dann diesen Bilderfluß   (durch die individuelle Kontrolltechnik)" Die Instruktion wird unterstützt und in ihrer   Wirkung gefördert, indem die Therapeutin in den Anfangssitzungen häufiger   wiederholt.- „Bitte achten Sie auf Körperempfindungen, spontane Bilder oder   Gedanken. "

  Zusatz 2: Die klassische Grundregel der freien Assoziation enthält in der   Psychoanalyse die Aufforderung an den Patienten, alles zu sagen, was ihm durch den   Kopf geht, gleichgültig ob dies beschämend ist, ob es unwichtig erscheint usf. Diese   Regel ist fiir Traumapatienten extrem beängstigend und sicherlich unproduktiv. Daher   wird auf den traditionellen Zusatz verzichtet. Viele Patienten gehen aber dennoch von   der Annahme aus, über alles sprechen zu müssen, um geheilt zu werden. Als   entängstigende Gegenmaßnahme wird daher die Standardinterventionslinie 5   verwendet (Abbruchtendenzen entgegenwirken).

SIL 11

  Vorbereitung auf das Sitzungsende

  Zur Vorbereitung des Sitzungsendes soll der Therapeut etwa 10 Minuten vor Abschuss   gemeinsam mit der Patientin eine Entspannungsübung in Verbindung mit einem   „Spannungscheck“ durchführen. „Bitte setzen Sie sich möglichst entspannt hin, die   Arme ruhen auf der Unterlage, Ihre Füße stehen  fest auf dem Boden. Bitte achten Sie   darauf, wieweit Sie sich jetzt noch körperlich oder seelisch angespannt oder   beunruhigt fühlen. Wenn das der Fall ist, könne wir darüber sprechen, was Sie jetzt   aktuell beunruhigt”. Zum Schluss wird die Entspannungsübung wiederholt.

SIL 12

  Umgang mit Polytraumatisierung – Aktuelles zuerst

  „Weil Sie schon früher etwas so Schreckliches erleben mussten und damit bis heute   nicht richtig fertig geworden sind, sind Sie jetzt im Zweifel, ob es Ihnen mit dem   neueren Erlebnis ebenso ergehen wird“. Ziel der Interventionslinie: Wenn es der   Patientin gelingt, mit dem aktuellen Trauma klarzukommen, wird das frühere gleich ein   stückweit mit verarbeitet.

SIL 13

  BIL bei amnestischen Traumapatienten

  In der Basisinterventionslinie wird der erste Satz im sog, „Dreisatz“ von SIL 1 so   modifiziert, dass ein entsprechendes Ereignis ausgespart bleibt, z.B.: „Sie leiden seit   langem unter diesen Ängsten und haben gelernt, sie in Grenzen zu halten, indem Sie   bestimmte Orte, Gedanken usf. vermeiden. Manchmal treten diese Gedanken aber   dennoch auf. Was können wir tun, damit Sie Ihr verständliches Ziel, die Ängste zu   vermeiden, noch wirksamer erreichen?“

SIL 14

  Gestaltbildung als Mosaik-Bildung

  „Die Erfahrung war so zerstörerisch und verwirrend, dass sich diese Zerrissenheit wie   nach einer Explosion auf Sie übertragen hat. Wir könnten zusammen versuchen, die   einzelnen Teile wieder zu finden und ihr Erleben bestimmten Aspekten der Situation   zuzuordnen, wie bei einem Puzzle“.

SIL 15

  Reduzierung exzessiver Kontrollen

  „Es ist eine wichtige Leistung, die Gefühle so abschalten zu können und sich so   unempfindlich zu machen, wie Sie das in state xy, z. B. „Alles- egal-Zustand” sind. Sie   haben inzwischen aber auch gemerkt, dass Sie Ihre Erinnerungen eingrenzen und sich   beruhigen können. Daher ist es jetzt vielleicht nicht mehr so notwendig, Ihre Gefühle   völlig abzuschalten. Vielleicht können wir gerade diesen unempfindlichen Zustand   nutzen, um noch besser zu verstehen, wie die Ereignisse abgelaufen sind und was sie   für Sie bedeutet haben. Sie wissen ja, wir können jederzeit unterbrechen, wenn sie   sich beunruhigt fühlen.“

SIL 16

  Umgang mit der Angst vor einer Wiederholung der traumatischen Erfahrung

  Sind im traumatischen Prozess intrusive Wiederholungserlebnisse aufgetreten, bei   denen die Unterscheidung von Gegenwart und Vergangenheit verloren ging, so sollte   der Patientin psychoedukativ zunächst der Unterschied zwischen Erinnerung und   Wiederholung verdeutlicht werden sowie die (traumaphysiologischen) Gründe, die   diese Unterscheidung erschweren. Zudem kann es hilfreich sein, auf positive   Ergebnisse auch in Therapien hinzuweisen, in denen das Erlebnis nicht „erinnert”   wurde oder „erinnert” werden konnte. Das Ziel dieser Interventionslinie besteht darin,   die Patientin vom Druck und der Angst zu befreien, die traumatische Situation erneut   „durchleben” zu müssen.

SIL 17

  Lösungsorientierte Arbeit an der Persönlichkeitsstruktur

  Im Zentrum der Arbeit an den Persönlichkeitsaspekten steht die Stärkung des   traumakompensatorischen Systems. Seine dysfunktionalen Anteile werden überprüft   und in Frage gestellt, negative Zirkel unterbrochen. Gleichzeitig wird lösungsorientiert   daran gearbeitet, die progressiven, entwicklungsorientierten Anteile zu stärken.

SIL 18

  Umgang mit der inneren Eltern-Kind-Konstellation

  Die Therapeutin achtet darauf, in welcher inneren Eltern-Kind-Konstellation die   traumatische Erfahrung kodiert ist und versucht, schrittweise und taktvoll, bei der   Patientin Verständnis für ihr kindliches Hintergrunderleben zu wecken. Anklagen und   Selbstvorwürfe eröffnen oft den Zugang zu dieser Dimension:» Warum musste das mir   passieren, warum ausgerechnet mir? Was habe ich verbrochen, dass mir so etwas   widerfährt?" Statt sich nun auf eine magische Helferrolle einzulassen, tritt die   Therapeutin durch Reflexion und affektive Kontrolle ihrer eigenen Helferneigung in eine   „optimale Differenz" zur magischen Phantasie und ermutigt die Patientin, selbst eine   fürsorgliche Elternrolle für sich und ihr „inneres Kind" zu übernehmen. Die elterlichen   Funktionen von Selbstberuhigung und Selbsttröstung werden so gestärkt und   schrittweise in die kognitiv-emotionalen Schemata der Patientin integriert. Um diesen   Umgang mit der Helferrolle zu verwirklichen, muss die Therapeutin evtl. eigene   Traumata therapeutisch aufgearbeitet und integriert haben. Sie sollte idealerweise   einen hieeichen therapeutischen Prozess dieser Art selbst erlebt haben, um ihn an   ihre Klientin weitergeben zu können.

SIL 19

  Selbstmitteilungen des Therapeuten

  Selbstmitteilungen sind in der Traumatherapie grundsätzlich hilfreich, da sie zu der   wünschenswerten Offenheit und Transparenz der Beziehung beitragen können. Sie   sollten sich primär auf die Mitteilung von Beziehungserlebnissen richten, die der   Therapeut aus seiner Sicht, manchmal auch stellvertretend für den Patienten   formulieren kann. Vermeiden sollte der Therapeut rein private Selbstaussagen, die aus   dem Bereich der Eigenübertragung stammen. Diese können den Patienten verwirren   und beunruhigen.

SIL 20

  BIL bei der dissoziativen Persönlichkeitsstörung

  Beim „Dreisatz“ in der Einleitungsphase sollte in
  Satz 1 anerkannt werden, dass die disoziative Abwehr notwendig war, um das   seelische Überleben zu gewährleisten,
  Satz 2: Aber manchmal gelingt es Ihnen nicht rechtzeitig und hinreichend, sich in einen   anderen Zustand zu versetzen
  Satz 3: Was können wir beide tun, um das Ziel, sich einem unerträglichen Zustand zu   entziehen, noch wirksamer zu erreichen? Daran anschließend kann ein individuelles   „Switching-Repertoire“ erarbeitet werden mit dem Ziel, die Erlebniszustände immer   besser kennenzulernen und zunehmend kontrolliert zu durchlaufen.

SIL 21

  SI: Pendeln zwischen positiven und negativen states

  Um die semiotische Progression, von der ikonischen Repräsentation hin zur   Handlungsebene zu unterstützen, wird jeweils ein positiver und ein eher negativer   state im Praxisraum an verschiedenen Orten „verankert“. Dort werden Symbole   abgelegt, die den state repräsentieren, und die Patientin wird gebeten, sich zunächst   jeweils etwa 3 Minuten in einem state aufzuhalten, danach zum anderen   überzuwechseln. In der Phase des kognitiven Durcharbeitens eignen sich im   allgemeinen state 1 – relativ kompetent  in seiner individuellen Fassung und state 3 –   Alleinsein.

SIL 22

  SI: Vorhersagetechnik

  Eine bei PBS-Patienten bewährte Technik ist die „paradoxe Vorhersage“. Wurde das   Diagramm der „states of mind“ zutreffend erarbeitet und bereits wirksam eingesetzt,   kann die Therapeutin vorhersagen: „Immer wenn diese und jene Bedingungen erfüllt   sind, fangen Sie wieder an zu schnippeln, kommen die Suizidgedanken auf usf.“   Natürlich will man mit einer solchen Vorhersage nicht im Sinne der   Konditionierungstheorie das Verhalten „verstärken“, sondern  im Gegenteil die   Aufmerksamkeit auf die automatisierten Verhaltensabläufe lenken, um sie dadurch zu   unterbrechen. Die Patientin wird im Arbeitsbündnis zur „Mitforscherin“ in Bezug auf   Ihre states gemacht. Eine solche Vorgehensweise stärkt das zentrale   „Ich- Selbst- System“ und damit das Arbeitsbündnis als Grundlage der MPTT:   Ereignisbezogene   Vorhersagen haben für Patienten, deren Schwerpunkt zwischen   ikonischer und   indexikalischer Ebene liegt, eine größere Überzeugungskraft als die   rein sprachliche   Symbolik (vgl. in F.4 die Behandlung eines Patienten mit   psychotischer Hypochondrie).


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