Therapie-Regeln

  Regel 1

  Nicht-suggestive Therapieführung in der Psychodynamischen Psychologie

  Psychodynamische Psychologie ist ein psychotherapeutisches Paradigma, das von der   Annahme einer genuinen Bewegung und dialektischen Selbstregulation der   psychophysischen Persönlichkeit ausgeht. Hieraus folgt für die Therapie ein   nichtsuggestives und nicht-manipulatives Vorgehen, das sich darauf beschränkt, die   natürliche Dialektik und Selbstheilungstendenz aufzugreifen und zu unterstützen.   Soweit im Rahmen der Psychodynamischen Psychotherapie Trainings- und   Übungselemente eingesetzt werden (psychodynamisch-behaviorales Vorgehen), gilt der   Primat der Beziehungsgestaltung vor der Technik, von Abwehr- und   Widerstandsanalyse vor der Bezugnahme auf Inhalte, von psychodynamische   Fallkonzeption und Behandlungsführung vor übungsorientierten Interventionen.

  Regel 2

  Stufen serniotischer Regression

  In regressiver Richtung wird durch Desymbolisierung 1 (= Subsumption von Erlebnis   und Handlung unter einen falschen pragmatischen Oberbegriff) die neurotische Position   erreicht, durch Desymbolisierung 2 (= Verlust der symbolischen Fassung eines   Handlungsschemas im ganzen) die Borderline-Position, durch Desindexikalisierung die   psychotische Position. Ergänzend sind in der ersten Spalte von Tabelle 8 die Bionschen   „Grundannahmen" Paarbildung, Kampf-Flucht, Abhängigkeit und Arbeitsgruppe   hinzugeführt. Das Stadium der Arbeitsgruppe entspricht der Intersubjektivität auf Stufe   C). Das Arbeitsbündnis als „minimdle Differenz" nach dem ADVM ist auf dieser Stufe   angesiedelt. Entwicklungspsychologisch liegt der Schwerpunkt Subjektivität im ersten   Lebensjahr, Objektivität im 2. und 3. Lj., die ödipale Konstellation um das 4. bis 5. Lj.   Das Stadium der Intersubjektivität erfährt mit den konkreten Operationen eine erste   Konsolidierung um das 5. bis 6 Lj. und setzt sich über die formalen zu den dialektischen   Operationen fort (vgl. Abschnitt A.3).

  Regel 3

  N + 1

  N + 1 besagt; dass die Intervention vom gegenüber den pathologischen Phänomenen   (level N) nächsthöheren Strukturniveau (N + 1) ausgehen muss. Sinnvollerweise   werden die dort vorhandenen Ressourcen in die Interventionslinie einbezogen. Die   Intervention zielt darauf ab, die Oszillation zwischen Level N und N + 1 zu verstärken   und den Übergang zur Meta-Ebene (= N + 1) zu erleichtern. Die   veränderungsfördernde, im Sinne des ADVM „optimale" Differenz von Schema und   Objekt wird in dialektisch-struktureller Hinsicht gefördert, indem N und N + 1   hinreichend zusammengeführt und zugleich für die Patientin punktuell genügend   unterscheidbar werden. Ist die Differenz zwischen pathologischem Schema und   therapeutischer Intervention zu weit (Level N + 2 etc.), bleibt die Intervention   bestenfalls wirkungslos. Ist sie zu gering (Level-N-Therapie), ergibt sich u.a. die in   Abbildung 19b visualisierte  therapeutische Missallianz.

  Regel 4

  Semiotische Progression

  Um von der indexikalischen zur symbolischen Ebene hinüberzuleiten, eignen sich   Techniken, die eingespielte indexikalische Abläufe gezielt unterbrechen, oft   psychodynamiseh-behavioraler Art. Das Vorgehen bei indexikalischen Abläufen ist hierin   dem bei ikonischen Phänomenen entgegengesetzt: Um Desymbolisierung aufzuheben   und Resymbolisierung zu fördern, sind neben konfrontierenden und klarifizierenden   Deutungen vor allem Interventionen geeignet, die den indexikalisch eingespielten   Handlungsablauf unterbrechen und die symbolbildende Negativität in das   verhaltensfixierte Beziehungsschema des Patienten einführen (vgl. Abschnitt F.4. 1).

  Regel 5

  Pendeln zwischen Progression und Regression

  Förderlich ist die dialektische „Pendelbewegung" zwischen Regression und    Progression. Dabei sollte nach Regel N + 1 eine gefestigte Position auf der    nächsthöheren Ebene als positiver „Ankerpunkt" genommen werden, zu dem die    Bewegung zurückkehrt, im Diagramm der Erlebniszustände nach KF BI z.B. state 1, um    mit einem indexikalischen state wie 3) zu pendeln.

  Regel 6

  Semiotik und Persönlichkeit

  Der ikonische Mensch fragt: wie erscheint etwas? Ästhetische Kriterien und das   Phantasieleben spielen eine bevorzugte Rolle. Der indexikalische Mensch fragt: Wozu   ist das nützlich? Pragmatische und ökonomische Werte stehen im Vordergrund. Die   Kernfrage im symbolischen Persönlichkeitsstil lautet: Was bedeutet das?

  Regel 7

  Semiotische Breite der Intervention

  Die PdP beginnt mit Interventionen und Übungen, die an den persönlichkeitstypisch   bevorzugten semiotischen Stil der Klientin anschließen. In späteren Phasen der   Therapie wird eine Ausweitung der Ausdrucksmöglichkeiten angestrebt.   Charakteristisch für die PdP ist die verbale Einbettung aller Interventionen. Diese   werden möglichst so formuliert, dass sie handlungsnahe und ikonische Komponenten   (z.B. Metaphern) enthalten und damit die„ tieferen" semiotischen Ebenen einbeziehen.

  Regel  8

  Prinzipien der psychodynamisch-behavioralen Technik

  1. Die Beziehungsgestaltung hat Vorrang vor der Technik.
  2. Entsprechend einem „dualen Beziehungskonzept" werden behaviorale       Übungselemente in die „optimale Differenz" von Arbeitsbündnis und       Übertragungsbeziehung eingebracht.
  3. Es wird ein „antizipatorisches Repertoire" an Verhaltensmöglichkeiten aufgebaut, um       die spontanen dekonstruktiven, konstruktiven und rekonstruktiven       Veränderungsoperationen zu unterstützen.
  4. Ein entwicklungsorientierter Interventionsstil (EOIS) hat Vorrang vor einem       trainingsorientierten Interventionsstil (TOIS).

  Regel 9

  Vorgehen bei Abwehrdeutungen

  Abwehrdeutungen werden in der klassischen psychoanalytischen Technik nach   folgender Regel und in folgender Reihenfolge gegeben: Dass, Wie?, Was? Wozu und   Warum? Zuerst wird der Patient durch konfrontierende Deutungen darauf hingewiesen,   dass er abwehrt, d.h. irgendetwas nicht zu Kenntnis nehmen, ihm ausweichen will usf..   Dann wird das Wie? der Abwehr gedeutet, im allgemeinen also der jeweils wirksame   Abwehrmechanismus. War diese Intervention erfolgreich, wird das Abgewehrte (das   Was?) angesprochen, am Beispiel eines Aggressionskonfliktes beispielsweise die   bislang abgewehrten aggressiven Wünsche und Bedürfnisse. Mit dem Wozu? der   Abwehr schließlich kommt die Frage auf was vermieden werden soll, bei verdrängter   Aggression z.B. Ängste vor einem ungesteuerten Wutausbruch, die sich mit einem offen   aggressiven Verhalten verbindet. An die Wozu-Frage können sich im Sinne des   antizipatorischen Repertoires auch Trainings anschließen für soziale Kompetenz und   Selbstbehauptung, die ein sozial integriertes und angstfreies Sich-Durchsetzen   erleichtern. Mit dem Warum? kommt die genetische Deutung ins Spiel als Frage, wie sich   der Abwehrmechanismus lebensgeschichtlich ausgebildet hat.

  Regel 10

  Ätiologiespezifischer Umgang mit der Abwehr

  Im Kontext Übersozialisation steht die Wahrnehmungsabwehr ausgegrenzter   Triebwünsche und die Bearbeitung von Ge- und Verboten des Über-Ich im Vordergrund;   im Kontext Trauma muss zuerst die Abwehr gegen die Wahrnehmung der traumatischen   Erfahrung überwunden werden, in einem zweiten Schritt dann die Abwehr gegenüber   ihrer subjektiven Bedeutung. Die Betroffenen nähern sich in der Phase des emotionalen   Durcharbeitens dem Zentralen Traumatischen Situationsthema (ZTST) und den   interpersonellen Konflikten an, die sich bei Beziehungstraumen ausbilden können (vgl.   Barwinski, 2005). Im Kontext Untersozialisation richtet sich die Abwehr indexikalisch   gegen die Außenwahrnehmung des Selbst als eines „objektiven Subjekts" und parallel   gegen die Wahrnehmung des anderen Menschen als eines „objektiven Subjekts, als   Person in ihrem eigenen Recht. Beider biologischen Ätiologie und Pathodynamik werden   Subsysteme aus der zentralnervösen Regulation ausgegrenzt. Wird die Abspaltung   aufgelöst, so werden sie wieder wahrnehmbar. Auf der körperlichen Ebene wird die   Selbst-Reflexion wieder hergestellt. In diesem Sinne kann man bei der Myoreflex-   Therapie auch von einer „Myo-Reflexions-Therapie" sprechen (Mosetter & Mosetter,   2005).

  Regel 11

  Ziel und Struktur dialektischer Interventionen in der PdP

  Ziel dialektischer Interventionen ist nicht das Bewusstmachen als solches, sondern das   Bewusstwerden des unbewussten Begriffs im Zuge seiner Aufhebung und   Verwirklichung. Hieraus ergeben sich Struktur und Funktion dialektischer Deutungen   und Interventionen, die verbal oder aktional formuliert sein können. Beispiel für eine   aktionale Formulierung ist die basale Interventionslinie (im folgenden BIL) der PdP   sowohl generell als auch in ihrer ätiologiespezifischen Abwandlung. In der BIL wird   zumeist (außer bei der UtS-Ätiologie) die Abwehrbewegung der Patientin aufgegriffen.   Deren Ziel wird positiv konnotiert und mit dem für die Patientin nächstliegenden   ökologischen Kontext in eine sinnvolle und verständliche Beziehung, gebracht. Die Mittel   jedoch, mit denen dieses verständliche Ziel erreicht werden soll, oft also die   Abwehrmechanismen, werden in einem zweiten Satzteil der Intervention als zwar   verständlich, aber doch verbesserungsfähig aufgegriffen. In einem dritten Satzteil wird   die Patientin aufgefordert, mit dem Therapeuten gemeinsam die Mittel zur Erreichung   des Zieles zu vervollkommnen („ Was können wir beiden tun, damit sie Ihr   verständliches und sinnvolles Ziel noch besser und wirksamer erreichen?). Die BIL ist   damit das aktionale Äquivalent einer Abwehrdeutung.

  Regel 12

  Dialektische „Bündnispolitik"

  Die Therapeutin unterstützt zunächst jene psychische Tendenz, die auf   Aufrechterhaltung bzw. Wiederherstellung von (minimaler) Sicherheit und Normalität im   Seelenleben zielt (kompensatorisches Schema, Coping, Abwehr). Ist dieser Pol   genügend gestärkt, wendet sie sich unterstützend dem Gegenpol zu. Schließlich   verbündet sie sich wieder mit den Beharrungstendenzen, damit der entscheidende   Veränderungsschritt (die „Konstruktion" im Sinne des ADVM) nicht vorzeitig erfolgt,   sondern der Patientin selbst überlassen bleibt.

  Regel 13

  Zeiltkriterium der MPTT-internen Indikation

  Bis etwa zu einem Jahr ist die MPTT-Udriante Akuttherapie indiziert. Ab einem Jahr und   darüber hinaus kommen die beiden Varianten zum „mittelfristigen Prozess" in Frage. Bei   einem zeitlichen Abstand von etwa 10 Jahren und darüber die beiden Varianten zum   „langfristigen traumatischen Prozess`; im typischen Falle etwa bei Erwachsenen, die als   Kinder traumatisiert wurden. Für die KJ-Varianten wird dieses Kriterium         sinngemäß   modifiziert

  Regel 14

  Strukturkriterium der MPTT-internen Indikation

  Überwiegen bei einer Patientin horizontale Kontrolloperationen vom Typ der   Dissoziation, so ist eine der fokussierten MPTT- Varianten angezeigt. Bei überwiegend   vertikalen Kontrolloperationen vom Typ der Verdrängung und einer Organisation von   Pathologie und Ressourcen auf dem symbolischen Niveau der Semiotik sind die offenen   Varianten indiziert. Das Indikationskriterium der Kontrolloperationen wurde in Abschnitt   A.3.4.1 näher ausgeführt.

  Regel 15

  Abstinenzregel in der Traumatherapie

  Die Abstinenzregel in der Traumatherapie lautet: Abstinenz ja – Neutralität nein

  Regel 16

  Bündniswechsel in der MPTT

  In der Dialektik der Beziehungsgestaltung verbündet sich die Therapeutin zunächst mit   den Zielsetzungen des TKS. Ab der Phase der Gestaltbildung findet der Bündniswechsel   statt zu den Kräften und Tendenzen des TS mit dem Ziel, die aktive Wiederholung und   Reproduktion des Traumaschemas zu fördern und dadurch eine „kausale Heilung" zu   erreichen.

  Regel 17

  Einsatz Selbsthilfebroschüre NW

  „Bitte lesen Sie den Abschnitt durch. Oder: Verschaffen Sie sich einen Überblick über die   Übung, die wir gemacht haben, und die weiteren Übungen, wählen Sie sich eine aus,   die Ihnen am besten entspricht. " Diese Instruktion gilt, wenn mit NW direkt in der   Therapie gearbeitet wird, also für die Arbeit mit der Hochrisikogruppe im Sinne der ZGI.   Der Selbstheiler- und Wechselgruppe wird die Broschüre zum Lesen übergeben mit dem   Hinweis, die zwei oder drei Übungen auszuprobieren, die spontan am besten zusagen.

  Regel 18

  Umgang mit der Übertragung

  Die Therapeutin greift diese Wahrnehmungen und Übertragungsreaktionen als   möglicherweise durchaus realistische Beobachtungen auf, die die Patientin im Laufe der   Therapie gemacht hat. Wenn die Patientin der Therapeutin gegenüber zum Beispiel ihr   Misstrauen äußert und ihr vorhält, sie nicht zu verstehen, wird ein solcher Vorwurf nicht   etwa als Übertragung „gedeutet“: Vielmehr schlägt die Therapeutin vor, gemeinsam zu   überlegen, welche Situationen bei der Patientin diesen Eindruck vielleicht ausgelöst   haben.
  Die Suche nach „Schlüsselreizen" des Übertragungsschemas (vgl. Gill, 1982) ermöglicht   der Patientin ein eigenständiges Differenzierungslernen zwischen traumatischer   Beziehungserfahrung und therapeutischer Beziehung. Im Verlauf dieser gemeinsamen   Suche wird es meistens möglich, die „Übertragungsüberzeugung" zu virtualisieren, sie   in eine „Hypothese" zurückzuverwandeln (DDV, S. 38ff) und ihren Zusammenhang mit   der traumatischen Erfahrung zu erkennen. 

  Regel 19

  Philosophie der Traumatherapie

  „Nicht die Reaktion der Person ist verrückt, sie ist vielmehr die normale Reaktion auf   eine verrückte Situation"- eine solche Aussage zur „Philosophie" der Traumatherapie ist   nur sinnvoll im Rahmen einer epistemologischen Position wie der Piagets und einer   Philosophie des „leibgebundenen Erkennens", wie sie etwa von Merleau-Ponty   entwickelt wurde.

  Regel 20

  Integration von EMDR in MPTT bei der Traumabearbeitung

  Eine Regel zum Einsatz von EMDR im Rahmen von MPTT besteht darin, dass die   Patienten zunächst positive Erfahrungen mit dem EMDR-Modul machen sollten an   kleineren „Randproblemen" und alltäglicher Stressbelastung. Dies stärkt ihr Vertrauen   in die   Möglichkeit der Affektreduzierung und dient der Therapeutin als   Indikationskriterium. Auf   dieser Erfahrungsgrundlage kann EMDR auch bei der   Traumaverarbeitung eingesetzt  werden.

  Regel 21

  BIL UtS beim Thema Misstrauen

  „Sie mussten in ihrer Lebensgeschichte wiederholt die Erfahrung machen, dass Sie sich   auf nichts und niemanden wirklich verlassen konnten. Daher bleiben Sie oft misstrauisch   und verlassen sich nicht ohne weiteres auf das, was normal oder üblich ist oder was   Menschen versprechen. "
  Aber manchmal werden Sie doch überrascht und enttäuscht, wie z.B……Was können wir   beide tun, damit Sie Ihr berechtigtes Ziel, in Zukunft nicht mehr hintergangen zu   werden, noch wirksamer erreichen können?"



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